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Die älteste bekannte Beschreibung einer Tumorerkrankung findet sich im Papyrus Smith, der auf etwa 1550 v. Chr. datiert wird. Die enthaltenen Texte sollen auf Imhotep zurückgehen, der wohl um 2700 v. Chr. gelebt hat. In Kolumne 15 des Papyrus findet sich Fall 45:
"Wenn Du untersuchst einen Mann mit ballartigen Geschwülsten auf seinem Brustkorb, und Du findest, dass sie sich ausgebreitet haben auf seinem Brustkorb. Wenn Du legst Deine Hand auf seinen Brustkorb, (und zwar) auf jene Geschwulst, und Du findest sie, indem sie sehr kühl ist, nicht ist irgendeine Hitze darin, wenn Deine Hand ihn untersucht. Nicht sind sie körnig, nicht produzieren sie Wasser, nicht haben sie Ansammlungen von Wasser gebildet; sie sind ballartig gegen Deine Hand. Dann musst Du sagen dazu: Einer mit ballartigen Geschwülsten; eine Krankheit, mit der ich kämpfe."
 
Die Anweisung zur Behandlung fällt äußerst lakonisch und niederschmetternd aus:
"Es gibt nichts."
 
An dieser Sichtweise sollte sich bis in die Frühe Neuzeit nicht sehr viel ändern, was verschiedene Gründe hat. Diese sollen hier kurz beleuchtet werden.
 
Viele der heute noch gebräuchlichen Begriffe gehen auf die griechische und römische Antike zurück. Hippokrates bzw. seine Schüler verglichen äußerlich sichtbare Tumoren mit dem Krebs (im Original "karkinos" und "karkinoma"). Beim Römer Celsus wurde daraus im 1. Jahrhundert das noch heute im Englischen gebräuchliche "cancer". Sehr anschaulich findet sich das Bild bei Galen im 2. Jahrhundert:
"…und an der Brust sahen wir häufig Tumoren, die der Gestalt eines Krebses sehr ähnlich waren. So wie die Beine des Tieres an beiden Seiten des Körpers liegen, so verlassen die Venen den Tumor, der seiner Form nach dem Krebskörper gleicht.“
 
Bezeichnend ist, dass in der Antike lediglich äußerlich sichtbare Tumorerkrankungen (Brust, Haut, Mundhöhle...) beschrieben wurden, andere kannte man offensichtlich nicht. Galen brachte diese Erkrankungen mit der Schwarzen Galle in Verbindung, einem der vier Körpersäfte in der Humoralpathologie (neben Blut, Schleim und Gelber Galle). Die Schwarze Galle ist nach Galen nur für zwei Krankheiten überhaupt verantwortlich, nämlich neben Tumoren noch für Depressionen. Von Galen stammt außerdem der Begriff "onkos", der eigentlich für Anschwellung, Masse oder allgemein für eine Last steht (vgl. das heutige Fachgebiet der Onkologie). Er schrieb:
"Schwarze Galle ohne Hitze verursacht Krebs."
 
Anzumerken ist noch, dass in der Antike nicht zwischen gutartigen und bösartigen Tumoren unterschieden werden konnte, die Abgrenzung zu Knoten, Karbunkel, Polypen, Ausstülpungen, Tuberkeln, Pusteln und geschwollene Drüsen war fließend.
 
Die Mastektomie (bzw. Lumpektomie und Quadrantektomie), also die Entfernung von erkranktem Brustgewebe, wurde bereits bei Leonidas von Alexandria um 100 n. Chr. erwähnt. Diese Behandlungen müssen ohne hinreichende Betäubung bis ins 19. Jahrhundert eine unvorstellbare Qual gewesen sein und wurden deshalb von verschiedenen Ärzten erst gar nicht angewandt - auch unter Verweis auf die Lehren Galens.
 
Johannes von Arderne schrieb Mitte des 14. Jahrhunderts:
"Lasset Euch nicht zu einer Operation verleiten, es wird nur Schande über Euch bringen."
 
Noch im 15. Jahrhundert schrieb Leonardo Bertipaglia:
"Wer von Euch meint, er könne Krebs durch Schnitt, Hebung und Extirpation heilen, irrt: Er wird nur einen nichtgeschwürigen Krebs in einen geschwürigen verwandeln. (...) In meiner gesamten Laufbahn habe ich nie erlebt, dass ein Krebs durch Schneiden geheilt worden sei, und weiß auch von keinem anderen."
 
Es war also auch damals schon bekannt, dass sich Krebs nach einer missglückten Operation unter Umständen noch schneller ausbreitet, wobei auch die bescheidenen Möglichkeiten der Wunddesinfektion und das damit verbundene Risiko einer jeden Operation bedacht werden müssen. Entsprechend behandelte Guy de Chauliac im 14. Jahrhundert größere Tumoren rein palliativ und entfernte nur kleine operativ. Ambroise Paré beschrieb im 16. Jahrhundert, wie er Tumoren mit Eisen ausbrannte, das er über Kohlen zum Glühen gebracht hatte, oder chemisch mit einer schwefelsauren Paste verätzte. In manchen Kreisen werden sogenannte "Schwarze Salben" heute noch bei Hautkrebs verwendet - mit oft furchtbaren Ergebnissen.
 
Erst im 17. Jahrhundert kannte man durch Marco Aurelio Severini unterschiedliche Arten von Tumoren. Die Mastektomie wurde maßgeblich von Johann Schultes weiterentwickelt. Im 18. Jahrhundert wurden Hospitäler nur für Krebskranke eröffnet, weil manche Mediziner Epidemien befürchteten. Erst Joseph Lister begründete im 19. Jahrhundert die antiseptische Chirurgie. Das Wissen, dass Tumorerkrankungen letztendlich auf fehlerhafte bzw. überflüssige Zellteilung zurückgehen, kam schließlich mit der Zellularpathologie durch Rudolf Virchow. Heute ist bekannt, dass jeder gesunde Mensch zu jeder Zeit etwa ein halbes Dutzend Tumorzellen in sich trägt, die zuverlässig vom Immunsystem "entsorgt" werden. Eine Tumorerkrankung ist also immer auch eine Schwäche des Immunsystems.
 
All diese Entwicklungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tumorerkrankungen bis ins 20. Jahrhundert eine eher untergeordnete Rolle spielten. Der Onkologe Siddhartha Mukherjee schreibt dazu:
"Wenn Krebs existierte, blieb er untergetaucht in einem Meer anderer Krankheiten. Tatsächlich ist das Auftreten von Krebs in der Welt das Ergebnis einer doppelten Verneinung: Er breitet sich erst dann aus, wenn alle anderen tödlichen Krankheiten ihrerseits ausgeschaltet sind."
Denn:
"Krebs ist eine altersbedingte Krankheit - manchmal auf exponentielle Weise. Das Brustkrebsrisiko zum Beispiel beträgt bei einer dreißigjährigen Frau ungefähr 1 zu 400, bei einer siebzigjährigen bereits 1 zu 9."
Drei Viertel aller Fälle von Tumorerkrankungen treten erst nach dem 60. Lebensjahr auf. Man muss hierbei bedenken, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA von 1900 bis 1940 um 26 Jahre erhöhte. In der geichen Zeit stieg Krebs in der Rangfolge der Todesursachen vom siebten auf den zweiten Platz. Um 1900 waren Lungenentzündung und Durchfall noch weit häufigere Todesursachen, wie Roswell Park bemerkte. Spitzenreiter war damals die Tuberkulose, laut William Osler der "Hauptmann der Totengräber".

Zum Schluss noch einmal zurück zu den Ägyptern, denn auch der aktuelle Ansatz der Immuntherapie geht letztlich auf diese zurück. Im zweiten berühmten Papyrus aus dem 16. vorchristlichen Jahrhundert, dem Papyrus Ebers, wird im letzten Abschnitt ein Kataplasma empfohlen (eine Art Breiwickel, in dem sich ein Gemisch aus Pflanzenpulvern, Samen und anderen Arzneistoffen befand), das auf einen eingeschnittenen Tumor gelegt werden soll. Ziel dieser Behandlung war eine Infektion des Tumors, die im besten Falle eine Heilung einleiten sollte.
 
Heutige Ansätze sind etwas weniger martialisch: Entweder "markiert" man die Tumorzellen, damit das Immunsystem sie gezielt angreift, oder man entnimmt dem Körper sogenannte Killerzellen, wandelt sie im Labor ab und injiziert sie dem Patienten anschließend wieder. Die zweite Variante erfuhr erst kürzlich durch den Fall der einjährigen Layla Richards aus England großes Medienaufsehen. Das kleine Mädchen konnte durch eine solche Zelltherapie (zumindest vorerst) von Leukämie befreit werden.
 
Lesetipp:
Siddhartha Mukherjee: "Der König aller Krankheiten: Krebs - eine Biografie." DuMont, 2012.

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