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Im Jahre 1789 erschien im Verlag H. N. Haueisen (Frankfurt/Leipzig) eine anonyme Schrift mit dem Titel „Specifica und Charlatanerie geprüft und gerügt von einem Freund der Wahrheit“. Textstellen aus diesem Traktat sind verblüffend aktuell, so heißt es:

„Alte Mittel im neuen Gewand wechseln in unseren Tagen öfters mit neuen ab, die in kurzer Zeit alt und vergessen seyn werden. Beide finden ihre Lobpreißer; bis Erfahrung und Lektüre zeigen, daß jene das nicht waren, was sie eigentlich hätten seyn sollen.“

Das trifft sicher auf viele moderne Mittel zu, die aus undurchsichtigen Quellen im Internet oder ganz offen von großen Pharmaherstellern in die Welt gesetzt werden: So lautete etwa das Fazit zum „Innovationsreport“ von 2013: „Viele neue Medikamente, wenig Wirkung.“

Aber auch die Ärzte werden in der Schrift von 1789 scharf kritisiert, so die „Liederlichen“, die „Farlässigkeiten in ihrer Praxis (…) mit Zeitkürze und dringender Arbeit entschuldigen.“ Das sind Zustände, die einem auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts sehr bekannt vorkommen.

Der wirkliche Autor konnte übrigens längst von der Forschung enttarnt werden. Es handelt sich um den Arzt Dr. Erasmus Ludwig Wernberger (1747-1795), der in dem Jahr, als seine Kampfschrift erschien, unter dem Namen „Hermophilus II.“ Mitglied der Leopoldina wurde, der bis heute bestehenden Deutschen Akademie der Naturforscher (Mitgliedsnummer 884). Kurz vor seinem Tod konnte er noch die Ernennung zum Königlich-Preußischen Hofrat entgegen nehmen. Eine sehr erstaunliche Karriere, denn Erasmus Ludwig Wernberger war nämlich nach seinem Medizinstudium an der Universität Erlangen bis zu seinem Tod nur zweiter Stadtphysicus der kleinen freien Reichstadt Windsheim (heute: Bad Windsheim). Aber seine Ärzte- und Pharmakritik fand damals ein beachtliches Echo, so reagierte die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ aus Jena ebenso, wie die „Medicinisch-Chirurgische Zeitung“ aus Salzburg und Nicolais renommierte „Allgemeine deutsche Bibliothek“ in Berlin.

Dass Wernberger sich den Werten der Aufklärung und der Grundrechte verpflichtet fühlte, zeigt eine kleine Passage aus „Specifica und Charlatanerie“:

„Freiheit im Denken und Schreiben ist das Heiligste und erste Recht der Menschen; und solange man nicht sein eigenes, sondern das Interesse der Wahrheit sucht, darf man auch aus seinen Einsichten und Überzeugungen kein Geheimnis machen.“

Ein Bronzespithaph an der Bad Windsheimer Friedhofsmauer, gestiftet von seiner Frau und den beiden Töchtern, erinnert heute noch an den Stadtphysicus des späten 18. Jahrhunderts.

Alle Zitate aus Werner P. Binder: „Windsheimer Stadtphysicus liest Berufskollegen die Leviten.“ Windsheimer Zeitung, 28. August 2015, Sonderteil (ohne Seitenzählung).

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